die faszinierende Welt der Gebärdensprache

Das hast du auch in den Nachrichten vielleicht gesehen: Am 10. Oktober 2024 hat die Abgeordnete Heike Heubach erstmals in der Geschichte des Bundestages eine Rede in Gebärdensprache gehalten. Es sei "höchste Zeit" gewesen, dass ein gehörloser Mensch hier eine Rede halte, gebärdete die SPD-Politikerin.

Das glauben wir auch, denn – und das vergessen wir immer wieder – gehörlos bedeutet nicht sprachlos.

Kommunikation ohne Grenzen

In Deutschland leben ca. 80.000 Gehörlose. Sie bezeichnen sich eben als gehörlos oder taub, und ja, sie können reden. Aber wie funktioniert eigentlich eine Gebärdensprache?

Also, bei Gebärdensprachen handelt es sich um ein intensives Zusammenspiel von Bewegungen mit den Händen, Mimik und Körperhaltung. Das weiß jeder. Aber was wird durch diese Mimik mitgeteilt: Wörter oder Buchstaben? Eigentlich beides. Gebärden können oft ein ganzes Wort oder einen Begriff symbolisieren. Die Gebärde für deutsch wird in manchen Gebärdensprachen zum Beispiel als eine Pickelhaube dargestellt (bedeutete im deutschsprachigen Bereich früher Schutzmann).

Mit dem Fingeralphabet lässt sich sonst jeder Buchstabe visuell darstellen. Es dient beispielsweise dem Buchstabieren von Eigennamen.

Oftmals werden Gebärdensprachen als vereinfachte Zeichensysteme missverstanden. Doch sie sind vollwertige Sprachen mit einer eigenen Grammatik, Syntax und komplexen Ausdrucksmöglichkeiten. Genau wie in gesprochenen Sprachen gibt es Regeln für Wortstellung, Zeitformen und sogar kulturelle Nuancen. Ein einfaches Beispiel ist der Gesichtsausdruck, der in Gebärdensprachen eine große Rolle spielt: Durch ein Stirnrunzeln kann beispielsweise eine Aussage zur Frage werden.

Die Vielfalt der Gebärdensprachen

Es gibt aber nicht nur eine Gebärdensprache. Gebärdensprachen sind nicht international – innerhalb eines Landes bzw. eines Sprachgebietes gibt es sogar Dialekte. Es werden aktuell 227 Gebärdensprachen weltweit aufgelistet!
Diese Vielfalt zeigt, dass Gebärdensprachen ebenso wie gesprochene  von Kultur, Geschichte und geographischer Lage geprägt sind.

Eine lange Geschichte

Wer hat sich als Erste das ganze System ausgedacht? Schwierig zu sagen. Die Geschichte der Gebärdensprachen ist sehr, sehr alt und beginnt in der Antike. Schon Plato und Augustinus berichteten darüber. Im jüdischen Talmud wird die Eheschließung von tauben Brautpaaren in Gebärden erwähnt.

Die bekannte Geschichte der modernen Gebärdensprachen beginnt aber erst im 18. Jahrhundert mit den ersten Schulen für taube Kinder in Frankreich und Amerika. Es ist eine spannende, manchmal traurige Geschichte. Beim sogenannten Mailänder Kongress 1880 beschließen (hörende) Pädagog*innen die Gebärdensprache in Europa zu verbieten. Die Lehrer:innen konzentrieren sich darauf, den gehörlosen Schülern*innen mit viel Qual das Sprechen beizubringen, statt ihnen Wissen zu vermitteln.

Das Verbot der Gebärdensprachen bleibt in Europa bis in die 1980er-Jahre (!) bestehen, mit fatalen Folgen für gehörlose Menschen auf dem alten Kontinent. Hingegen beginnt sich die amerikanische Sprachwissenschaft bereits in den 1960er Jahren für Gebärdensprachen zu interessieren. Und es wird bald bewiesen, dass die Gebärdensprache eine eigene Grammatik und Struktur aufweist und als vollwertige Sprache angesehen werden kann.

Gebärdensprachen am Arbeitsplatz

Gebärdensprachen spielen heute eine zentrale Rolle in der Schaffung einer barrierefreien und inklusiven Gesellschaft. Ihre Anerkennung als eigenständige Sprachen und die Integration in Bildungseinrichtungen und Arbeitsplätze sind unverzichtbare Schritte, um Chancengleichheit voranzutreiben.

Aber wie soll das gehen? Die Abgeordnete Heubach wird im Bundestag von zwei Dolmetscherinnen unterstützt; so was kann sich kein gewöhnlicher Arbeitgeber leisten. Und tatsächlich: leider sind gehörlose Mitarbeiter*innen in vielen Unternehmen nach wie vor unterrepräsentiert.

Das sollte sich aber bald ändern. In Zeiten des Fachkräftemangels wird es für Unternehmen immer wichtiger, kompetente Mitarbeitende aus allen Bereichen anzuziehen und zu binden. Die Unterstützung von Gebärdensprache am Arbeitsplatz kann dabei ein wichtiger Aspekt sein, um als moderner und inklusiver Arbeitgeber wahrgenommen zu werden.

Die Entwicklung von Technologien wie Apps zur Übersetzung von Gebärdensprache in Echtzeit und Künstliche Intelligenz, die visuelle Signale in Sprache umwandeln kann, werden in der Zukunft zudem die Integration am Arbeitsplatz erleichtern. Ein Beispiel: Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Forschungsprojekt AVASAG (avatar-basierter Sprachassistent zur automatisierten Gebärdenübersetzung).

Fazit

Gebärdensprachen sind ein wichtiger Teil unserer kulturellen Vielfalt. Ihre Schönheit liegt in der Fähigkeit, Gedanken und Emotionen über visuelle Formen zu vermitteln, und sie verdienen es, als vollwertige Sprachen anerkannt und geschätzt zu werden. Es wäre dafür "höchste Zeit".

Falls du Lust auf Gebärdensprachen bekommen hast, kannst du gleich anfangen, sie zu lernen und zwar mit dem berühmtesten Zeichen: Die Kombination der Buchstaben I-L-Y steht nämlich nicht nur für "I love You", sondern wird in der Gebärdensprachgemeinschaft als Gruß und Solidaritätszeichen verwendet. Das sieht so aus und damit verabschieden wir uns: